Sechs Monate vor der Präsidentschaftswahl in den USA ist nur eines klar: Es wird eine dramatische Kraftprobe
Am 5. November 2024 findet in den USA die Präsidentschaftswahl statt. Sechs Monate vor der Wahl haben Umfragen wenig Aussagekraft, trotzdem eine erste Vorschau auf das Duell Trump gegen Biden.
Die Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten ist immer eine grosse Show. Im Jahr 2024 wird sie aber zum Showdown, zur dramatischen Kraftprobe, die mit der endgültigen Niederlage eines der Kontrahenten enden wird:
Joseph «Joe» Robinette Biden, 46. Präsident der Vereinigten Staaten
Donald John Trump, 45. Präsident der Vereinigten Staaten
Der unberechenbare Donald Trump gegen den gemässigten Joe Biden
Donald Trump ist ein unberechenbarer Narzisst und chronischer Lügner, der mit extremen Positionen provoziert. Gegen den umstrittensten Präsidenten der US-Geschichte wurden zwei Amtsenthebungsverfahren angestrengt, dazu kommen viele Strafprozesse gegen Trump als Geschäftsmann und Ex-Präsident – unter anderem wegen Verschwörung gegen die USA.
Joe Biden dagegen ist ein berechenbarer und gemässigter Politiker mit Empathie und Anstand. Während seiner Präsidentschaft fiel er aber durch verwirrte Äusserungen und im doppelten Sinne «schwache» öffentliche Auftritte auf. Biden wäre bei seiner Amtseinführung 82 Jahre alt, was immer wieder Zweifel an seiner Amtseignung weckt.
In den sechs Monaten bis zur US-Präsidentschaftswahl kann alles passieren
Sechs Monate vor der Präsidentschaftswahl in den USA haben Umfragen erfahrungsgemäss wenig Aussagekraft. Zuviel kann passieren: innenpolitisch mit den Protesten für die Palästinenser oder mit der Angst vor Flüchtlingen an der mexikanisch-amerikanischen Grenze, aussenpolitisch mit den Entwicklungen in der Ukraine und in Israel.
Man muss nicht gleich so pessimistisch sein wie Matthias Koch, Chef-Autor des RedaktionsNetzwerkes Deutschland RND:
«Vielleicht wäre es eine gute Idee, den USA bald noch mal einen Besuch abzustatten. In einem halben Jahr könnte das liberale, rechtsstaatliche Amerika, wie wir es kennen, aufhören zu existieren.»
Aber es ist schwer, optimistisch zu sein.
US-Politikwissenschaftler Allan Lichtman sieht Joe Biden als Gewinner
Der US-amerikanische Historiker und Politikwissenschaftler Allan Lichtman hat seit 1984 für neun von zehn Präsidentschaftswahlen das Resultat korrekt prognostiziert. Zuletzt 2020 den Sieg von Joe Biden über den damaligen Amtsinhaber Donald Trump. Und für 2024 sieht Lichtman wieder Joe Biden als Gewinner.
Lichtmann hat für seine Prognosen alle Präsidentschaftswahlen seit 1860 analysiert und ein eigenes Modell entwickelt, das auf 13 Feststellungen basiert: «The Keys to the White House» (Die «Schlüssel zum Weissen Haus» finden Sie am Ende dieses Textes).
Lassen sich mindestens sechs der 13 Feststellungen mit «Falsch» beantworten, kommt es zu einem Machtwechsel. Allan Lichtman glaubt, konträr zu den aktuellen Umfragen, an eine weitere Amtszeit von Joe Biden. Dieser habe jetzt (Stand: 5. Mai 2024) schon zwei der 13 Schlüssel auf sicher, nämlich:
🗝️ Vorteil des Amtsinhabers der regierenden Demokratischen Partei
🗝️ Keinen ernsthaften Kandidaten im Wettbewerb um die Nominierung innerhalb der Demokratischen Partei
Gemäss Lichtmann müsste Joe Biden mindestens sechs Schlüssel zum Weissen Haus verlieren, um auch die Präsidentschaftswahlen zu verlieren: «Es müsste schon viel schief gehen, damit Biden verliert.»
Der deutsche USA-«Beobachter» Matthias Koch und CNN sehen Trump als Gewinner
Der angesehen deutsche Journalist Matthias Koch widerspricht Allan Lichtman: «Für die Wahlen am 5. November sieht es düsterer aus als erwartet – jedenfalls aus Sicht derer, die sich keinen Sieg Donald Trumps wünschen.»
Zur Einordnung: Matthias Koch war Gründungs-Chefredaktor des RedaktionsNetzwerkes Deutschland RND, das über 60 Tageszeitungen mit 6,8 Millionen Lesern am Tag mit Nachrichten versorgt. Heute ist Koch ist Chef-Autor des RND und Co-Autor des RND-Newsletters «US-Radar». Seine Gewissheit – oder eher seine Ängste – bezieht Matthias Koch auf zwei Quellen:
Zuerst die jüngste Umfrage des TV-Senders CNN, bei der Trumps Zustimmungsquote stabil bei 49 Prozent liegt, während die Zustimmungsquote für Biden von 45 Prozent im Januar auf jetzt 43 Prozent sank.
Die CNN-Umfrage ist allerdings (für Biden) ein böser Ausreisser: Im Durchschnitt zeigten die Umfragen der relevanten Institute Ende April 2024 einen relativ knappen Vorsprung für Trump:
45,1% Joe Biden
46,6% Donald Trump
Besonders bitter für Amtsinhaber Joe Biden: 55 Prozent der Befragten bewerten Trumps Präsidentschaft als Erfolg, während nur 39 Prozent Bidens bisherige Amtszeit als Erfolg bezeichnen.
Auch «270 to Win» sieht Trump als Gewinner der Präsidentschaftswahl
Die zweite Quelle, auf die sich Matthias Koch bezieht, ist die unabhängige Demoskopie-Webseite «270 to Win». Diese hat ihren Namen vom Wahlsystem: In den meisten US-Bundesstaaten erhält der Gewinner alle Stimmen der Elektoren (Wahlleute) für diesen Bundesstaat. Nur Maine und Nebraska vergeben ihre Wahlleute nach einem Verhältniswahlsystem.
Ironischerweise tritt das Electoral College (Wahlleute-Kollegium) nie an einem einzigen Ort als gemeinsames Gremium oder eben Kollegium zusammen: Die Wahlleute treffen sich am Montag nach dem zweiten Mittwoch im Dezember in den Hauptstädten ihrer jeweiligen Bundesstaaten. Insgesamt sind es 538 Wahlleute, die absolute Mehrheit liegt bei 270 Stimmen – deshalb «270 to Win».
«270 to Win» sieht die Republikaner und damit Donald Trump derzeit (Stand: 5. Mai 2024) mit 235 zu 226 Stimmen vorn:
235 Wahlleute können die gesichert von den Republikanern gehaltenen US-Bundesstaaten ins Wahlleute-Gremium entsenden (auf der US-Karte unten rot)
226 Wahlleute können die gesichert von den Demokraten gehaltenen US-Bundesstaaten (blau) ins Wahlleute-Gremium entsenden
77 Wahlleute lassen sich aktuell noch nicht zuordnen, weil in sechs der 50 amerikanischen Bundesstaaten das Ergebnis als noch offen gilt (beige)
In den Swing States Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, Pennsylvania und Wisconsin wird in den nächsten sechs Monaten der Wahlkampf mit besonderer Intensität geführt. In diesen US-Bundesstaaten investieren Demokraten und Republikaner gigantische Millionen-Budgets für TV-Spots und Social-Media-Kampagnen.
Und für diese sechs entscheidenden Swing States zieht Matthias Koch «den bestürzenden Schluss: Nirgendwo liegt Biden vorn. Überall triumphiert derzeit Trump.»
Trotz – oder wohl eher dank den diktatorischen Anwandlungen von Trump, der innenpolitische Gegner als «Ungeziefer» bezeichnet, das man vernichten müsse. Immer mehr Trump-Fans sehen in der Abkehr von der Demokratie nicht etwa eine Bedrohung, sondern eine Verheissung.
Allan Lichtmans «13 Schlüssel zum Weissen Haus»
In der Liste sind jeweils die Schlüssel 🗝️ eingezeichnet, die Amtsinhaber Joe Biden auf sicher hat – aber auch die Brennpunkte, an denen er den Schlüssel verlieren könnte.
💥 Parteimandat: Nach den Zwischenwahlen («Midterm Elections») verfügt die amtierende Partei über mehr Sitze im US-Repräsentantenhaus als nach den vorangegangenen Zwischenwahlen (2018 = 235 Sitze, 2022 = nur 213 Sitze für die Demokraten).
🗝️ Kein Wettbewerb: Es gibt keinen ernsthaften Wettbewerb um die Nominierung der amtierenden Partei.
🗝️ Amtsinhaberschaft: Der amtierende Parteikandidat ist der amtierende Präsident.
🗝️ Keine Dritten: Es gibt keine nennenswerte Kampagne Dritter oder unabhängiger Parteien.
⚖️ Kurzfristige Konjunktur: Die US-Wirtschaft befindet sich im Wahlkampf nicht in einer Rezession.
⚖️ Langfristige Wirtschaftsaussichten: Das reale Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum in den USA während der Laufzeit entspricht oder übertrifft das durchschnittliche Wachstum während der beiden vorangegangenen Laufzeiten.
⚖️ Politikwechsel: Die amtierende Regierung führt grosse Veränderungen in der nationalen Politik durch.
💥 Keine sozialen Unruhen: Während der Amtszeit kommt es zu keinen anhaltenden sozialen Unruhen.
⚖️ Keine Skandale: Die amtierende Regierung ist nicht von grösseren Skandalen betroffen.
💥 Kein Versagen in der US-Aussenpolitik oder militärischen Konflikten.
Erfolg in der US-Aussenpolitik oder in militärischen Konflikten.
💥 Amtsinhaber-Charisma: Der amtierende Parteikandidat ist charismatisch oder ein Nationalheld.
💥 Herausforderer-Charisma: Der herausfordernde Parteikandidat ist weder charismatisch noch ein Nationalheld.